Project Description

Laura Hillman
*16. Oktober 1923
lebt in Los Alamitos (USA)

Leerer Landstraße 18, Aurich

Auf Schindlers Liste überlebt

Laura Hillman musste acht KZ’s durchleben, ehe sie befreit wurde

Den Hollywood-Film „Schindlers Liste“ hat sich Laura Hillman 1994 zusammen mit ihrem damals 40-jährigen Sohn Robert angesehen. „Das wurde alles sehr realistisch dargestellt“, sagt sie, die mit sehr warmer Stimme spricht und heute in Los Alamitos in der Nähe von Los Angeles lebt.

Laura Hillman, die als Hannelore Wolff in Aurich das Licht der Welt erblickte, stand als Nummer 287 auf der Liste, die der Fabrikant Oskar Schindler (1908–1974) im Herbst 1944 anfertigen ließ, um rund 1.100 jüdische Menschen aus dem KZ herauszuholen und für sich in seiner „Deutsche Emailwarenfabrik“ arbeiten zu lassen. Das Werk hatte seinen Sitz in Krakau, wurde zum Kriegsende nach Brünnlitz ins heutige Tschechien verlegt. Hannelore Wolff war 21 Jahre alt, als sie zu Schindler kam. Sie hatte die Tortur von mehreren Konzentrationslagern hinter sich. Zuletzt war sie im KZ Plaszow, das direkt bei Krakau gelegen war.

Es sei in den Konzentrationslagern noch weitaus grausamer zugegangen, als dies im Film zu sehen sei, sagt sie. „Aber wenn das dargestellt worden wäre, dann hätte sich das vermutlich niemand mehr im Kino angesehen.“ Laura Hillman arbeitete in Brünnlitz in den letzten Kriegsmonaten 1945 in der Küche der Fabrik und überlebte so den Holocaust.

Über die Vergangenheit zu sprechen, fällt ihr sichtlich schwer. Gelegentlich werde sie nach damals gefragt. Anschließend müsse sie immer ans Meer fahren, um ihr inneres Gleichgewicht zurückzubekommen. Der Pazifik liegt nur zwanzig Autominuten von ihrem Haus entfernt. Irgendwann habe sie auch angefangen zu schreiben. Zunächst waren es Gedichte, später hat sie ihre ganze Lebensgeschichte aufgeschrieben. 2005 kam ihr Buch unter dem Titel ­„I will plant you a lilac tree“ heraus. „Ich werde dir einen Fliederbaum pflanzen“ heißt dies übersetzt. Es war die Erinnerung an den Fliederbaum im elterlichen Garten in Aurich und das Versprechen ihres Mannes Dick Hillman (1914–1986), das er ihr im KZ gegeben hat und das für die Zeit nach der Befreiung galt. Dick Hillman stammte aus Polen und stand ebenfalls auf Schindlers Liste.

An ihre ostfriesische Heimat hat Laura Hillman noch intensive Erinnerungen. Eine große Familie seien sie gewesen, sie hatte vier Geschwister und viele Onkel und Tanten in Aurich. Im Übrigen ist der Familienname Wolff in Aurich mehr als gängig. In einer Liste von 1933 mit 398 jüdischen Einwohnern haben 149 den Namen Wolff, und weitere 29 den Namen Wolffs.

Ihr Vater war im Viehhandel tätig. Im Juli 1934 zieht die Familie Wolff allerdings von Aurich von der Leerer Landstraße 18 nach Sandhorst in ein Nebengebäude von Gut Eschen. Der Besitzer des Gutes, Menko Dieken, hatte schon immer mit jüdischen Viehhändlern zusammengearbeitet und sah offensichtlich kein Problem darin, Räume auf dem Gut an die jüdische Familie zu vermieten. Die Familie Wolff organisiert in den folgenden Jahren Ferienaufenthalte für jüdische Großstadtkinder aus Bremen und Berlin, die von der „Kinderlandverschickung“ der Nazis grundsätzlich ausgeschlossen waren. Dies nehmen Nazis in Aurich 1938 zum Anlass, in Zeitungsartikeln gegen „diesen skandalösen Zustand“ zu polemisieren, eine Unterschriftenliste gegen diese „Belästigung“ zu organisieren und die Schließung des „Kinderheims“ sowie die Kündigung der Familie Wolff zu erzwingen. Am 27. September 1938 müssen Martin Wolff (1894–1942) und seine Frau Karoline (1897–1942) mit ihren fünf Kindern Gut Eschen verlassen und ziehen nach Aurich in die Marktstraße 4.

Nur wenig später passiert das, was für alle Juden traumatisierend und für alle ein Hinweis darauf war, dass ihnen nach Leib und Leben getrachtet wurde: die Pogromnacht vom 9. November 1938. Sie habe noch deutliche Erinnerungen daran, sagt Laura Hillman, die damals 15 Jahre alt ist. Es seien in dieser Nacht die Scheiben und die Tür eingeschlagen worden an ihrem Haus in der Marktstraße. Man habe „Juden kommt raus“ geschrien. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite habe es ein jüdisches Geschäftshaus gegeben, dort hätten die Leute geplündert. Auch die Synagoge habe sie brennen sehen. Die jüdischen Menschen seien in der Viehauktionshalle zusammengetrieben worden, wo man sie schikaniert habe.

Der Schein trügt

Während die meisten Männer zwei Tage nach dem Niederbrennen der Synagoge in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht wurden, konnte das Familienoberhaupt Martin Wolff zurück nach Hause. „Das hat ihn in trügerischer Sicherheit gewogen“, sagt seine Tochter später. Mit dem Eisernen Kreuz war er für seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet worden. Es bestärkte seinen Glauben, dass man ihm nichts antun würde. „Er hatte eine Kugel im Bein, humpelte und konnte nicht mehr richtig arbeiten“, erinnert sich Laura Hillman.

Die Ereignisse der Pogromnacht haben aber sicherlich maßgeblich dazu beigetragen, die Kinder in den kommenden Monaten von Aurich wegzubringen. Die beiden ältesten Schwestern Roesel (geb. 1921) und Hildegard (1922–1978) können sogar noch das Land verlassen. Roesel kommt Anfang 1939 mit 17 Jahren nach England, Hildegard gelangt etwas später nach Palästina. Die Brüder Wolfgang (1926–1943) und Selly (1927–1943) werden in ein Kinderheim nach Köln gebracht. Laura Hillman, damals noch Hannelore Wolff, geht im Februar 1940, als alle Juden Aurich verlassen müssen, mit 16 Jahren nach Berlin-Grunewald in ein Kindergärtnerinnenseminar, das Dr.-Fraenkel-­Internat in der Wangenheimer Straße 36.

Die Eltern Martin und Karoline Wolff und auch deren Mutter Henriette Wolff (1875–1944) ziehen Anfang 1940 nach Weimar, wo es Verwandtschaft gab. Sie wohnen äußerst beengt im sogenannten „Judenhaus“ am Brühl 6. Dort wird der Vater am 23. Januar 1942 verhaftet, weil er unerlaubterweise als Jude mit dem Fahrrad gefahren war. Nun wird ihm seine Kriegsbeschädigung noch zum Verhängnis. Er kommt nicht nur ins KZ Buchenwald, sondern wird bereits wenige Wochen später im Alter von 47 Jahren als Behinderter am 12. März 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg umgebracht. Als nicht arbeitsfähiger Häftling fiel er der heimlich durchgeführten Euthanasie zum Opfer.

In Berlin habe sie vom Tod ihres Vaters erfahren, erzählt Laura Hillman, die abwechselnd Deutsch und Englisch spricht. Die Mutter habe dem Vater noch Kleidung ins Gefängnis gebracht. Ihr sei gesagt worden, da, wo er hinkäme, bräuchte er die Sachen nicht mehr. Sechs Wochen später bekam die Mutter eine mit Asche gefüllte Urne zugeschickt. In einem Begleitbrief habe gestanden, ihr Mann sei eines „unbekannten Todes“ gestorben.

Nur wenig später erhält die Mutter Karoline Wolff genauso wie andere Weimarer Juden die Deportationsaufforderung für den Osten. Sowohl die beiden Brüder aus Köln als auch sie selbst seien nach Weimar gekommen, um mit der Mutter mitzugehen. „Ich musste mir von der Gestapo eine Bescheinigung besorgen, dass ich mit dem Zug von Berlin nach Weimar fahren durfte“, sagt Laura Hillman. Am 10. Mai 1942 werden die Mutter und ihre drei Kinder ins Ghetto nach Belzyce (nahe Lublin) ins Generalgouvernement deportiert. 1.002 Menschen sind im Zug. Laura Hillmans Großmutter, mit der die Mutter in Weimar zusammengewohnt hatte, wird im Übrigen erst im September 1942 nach Theresienstadt gebracht, wo sie am 10. März 1944 ums Leben kommt.

Als das Lager im Mai 1943 liquidiert wird, werden viele Menschen umgebracht. Hannelore Wolff bekommt einen Hinweis und kann sich in einem Tunnel verstecken. Ihre Mutter und ihren Bruder Wolfgang sieht sie nie mehr wieder. Ihre Todeszeitpunkte sind ungeklärt.

Begegnungen

Zwei Jahre lang kommt Hannelore Wolff von einem KZ ins nächste, insgesamt sind es acht. Sie erlebt als Jugendliche unbeschreibliche psychische und körperliche Qualen. Als es vorbei ist, ist sie 21 Jahre alt. Ihren 15-jährigen Bruder Selly sieht sie noch im Krankenlager im KZ Budzyn wieder, nachdem dieser völlig zusammengeschlagen eingeliefert wird. Die Schwester kann nichts für ihn tun, obwohl sie als Krankenschwester arbeitet. Sie wird abkommandiert. Im Lager Budzyn trifft sie den Bruder – vermutlich 1943 – noch ein letztes Mal. Völlig abgemagert und dem Tode geweiht, klopfte er ihr auf die Schulter. „Den Blick in seinem Gesicht werde ich nie vergessen, es war grauenvoll“, sagt sie. Wenig später sei er gestorben. Während sie ansonsten flüssig redet, kommt sie beim Erzählen über den Bruder Selly ins Stocken und bekommt ein Vibrieren in der Stimme. Oft habe sie die Situation geträumt, sagt sie.

Eine andere Begegnung, die ihr sehr präsent ist, betrifft einen Wachsoldaten, der „verrückter Johann“ genannt wurde, weil er so brutal mit den Gefangenen umging. Er habe in ihrer Gegenwart einmal auf Plattdeutsch geschimpft, erzählt Laura Hillman. Es stellte sich heraus, dass er aus Moordorf stammte und sogar ihren Großvater kannte. „Er war jemand, der aus den primitivsten Verhältnissen kam und seine Macht ausnutzte.“ Nach der Begegnung mit ihr habe er sich auffällig zurückgehalten, so als habe er sich bei etwas ertappt gefühlt.
Dass ausgerechnet sie auf die Liste von Oskar Schindler kam, mit der letztlich 1.100 Juden dem Tod entgingen, ist für Laura Hillman auch heute noch nur schwer erklärlich. Der SS-Mann Josef Leipold (1913–1949), der im KZ Plaszow und später in Brünnlitz agierte, habe sie und ihre Freundin Eva Süßkind eigens auf die Liste gesetzt. Laura Hillman zeigt eine Kopie der Namensliste, die sie selbst auch erst viel später bekommen hat. „Es ist sehr ironisch, dass ausgerechnet Josef Leipold mich auf die Liste gesetzt hat“, sagt Laura Hillman. Nur Monate zuvor im KZ Budzyn hatte er sie als Zimmermädchen haben wollen und damit gedroht, sie aus dem Fenster zu werfen, als sie ihre Arbeit nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte.

Mit den Listen sei es ohnehin so eine Sache gewesen. Ständig habe es irgendwelche Listen gegeben. Man habe dabei nie gewusst, ob es nun gut oder schlecht sei, dort drauf zu stehen. Das Mordgeschäft erledigte die SS mit perfider Genauigkeit und Verwaltungsarbeit. Dass bei aller Planung auch Fehler passierten, zeigt der Transport für die Fabrik Oskar Schindlers. Während die Männer aus den Lagern Plaszow und Groß-Rosen direkt ins Schindler-Lager nach Brünnlitz transportiert wurden, fuhr der Zug mit den 300 Frauen versehentlich am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz. „Bei der Ankunft war es kalt, es gab Hundegebell und lautes Schreien“, sagt Laura Hillman. Man habe ihnen die Haare geschoren und sie in Häftlingskleidung gesteckt. „Wir wussten nicht, was mit uns geschehen wird.“ Erst mehrere Tage später wurden auch sie nach Brünnlitz gebracht.
Persönlich gesehen hat sie Oskar Schindler einige Male, immer dann, wenn dieser in die Küche gekommen sei, wo sie arbeitete. Auch an seine Abschiedsrede, die er kurz vor Eintreffen der Roten Armee vor der gesamten Arbeiterschaft gehalten hatte, könne sie sich noch erinnern.
Als sie dann tatsächlich frei gewesen sind, hätten sie und ihr späterer Mann Dick Hillman dies überhaupt nicht begreifen können. Einen Ort, wohin sie gehen konnten, gab es nicht. Zwei Jahre irrten sie als sogenannte „displaced persons“ umher, ehe sie 1947 die Visa für die USA bekamen. Vorher noch, im Oktober 1945, heiraten sie im bayerischen Erding. Hannelore Wolff hieß jetzt Hillman. Bei der Einreise in die USA – von Bremerhaven aus ging es nach New York – musste der offizielle Vorname dann auch noch in „Laura“ geändert werden. „Hannelore gibt’s hier nicht“, habe man ihr gesagt.

Vor der Abreise ist sie noch einmal für ein paar Stunden in Aurich gewesen. Sie habe an ihre ehemalige Wohnungstür geklopft. Die Frau, die ihr öffnete, erkannte sie und entgegnete ihr, dass sie hier nichts verloren habe.

Rückkehr in die Vergangenheit

Als im Jahre 1992 und 2002 in Aurich Begegnungswochen mit ehemaligen jüdischen Mitbewohnern organisiert wurden, reist Laura Hillman nicht an. Nicht einmal die Einladungen haben sie beantwortet, sagt sie. Sie habe nicht auf ein Podest gestellt werden wollen, so dass dann alle hätten sagen können, wie gut man zu ihresgleichen sei. Ihre Schwester Roesel, die in Dublin lebt, habe sogar einen bitterbösen Brief an den Bürgermeister geschickt. Der Stachel der Demütigungen und Verletzungen saß zu tief. „Fast alles, was mir lieb war, wurde mir von den Deutschen genommen“, sagt Laura Hillman.

Erst 2004 überwindet sich Laura Hillman, noch einmal nach Ostfriesland zu kommen. „Ich wollte als Privatperson kommen.“ Günther Lübbers, der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Ostfriesland, habe sich zusammen mit seiner Frau sehr um sie bemüht. Ihrem damals 16-jährigen Enkelsohn Ayeh habe sie alles zeigen wollen, die Häuser, in denen sie gelebt hatte, den Friedhof, auf dem ihre Großeltern liegen, und den Gedenkstein für die 310 jüdischen Opfer aus Aurich.

Mit ihrem Mann Dick, der 1986 gestorben ist, habe sie nur wenig über die KZ gesprochen. „Er hat manchmal nachts im Schlaf geschrien.“ Erst als der Sohn Ende der 70er-Jahre die Serie „Holocaust“ gesehen hatte und wissen wollte, ob es tatsächlich so schlimm gewesen sei, hatten sie mit ihm intensiv darüber gesprochen. 1995 hat Laura Hillman auch der Shoah-Foundation von Regisseur Steven Spielberg, der den Schindler-Film gedreht hatte, ein Interview gegeben. Die Organisation sammelte die Aussagen von mehr als 50.000 Holocaust-­Überlebenden.

Heute sagt Laura Hillman, dass es für sie wichtig sei, dass ihr Sohn und auch die Enkel wüssten, was sie durchgemacht hat, woher sie komme. Ihren Lebensretter Oskar Schindler sahen sie und ihr Mann nach dem Krieg nicht wieder. „Wir haben, wie andere auch, noch einige Male Geld für ihn gespendet“, sagt Laura Hillman. Dem Alkohol verfallen, sei er nahezu mittellos gestorben.

Am 21. Februar 2013 wurden für Laura Hillman und sieben weitere Familienmitglieder in der Leerer Landstraße 18 Stolpersteine verlegt.

Quellen:
  • Gespräch Bernd-Volker Brahms mit Laura Hillman, Los Alamitos, 25. Oktober 2004
  • Laura Hillman, I will plant you a lilac tree, New York 2005
  • Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Aurich, Rep. 16/1 Nr. 5748, Kennkarte Hannelore Wolff, 1939
  • Die Juden in Aurich, Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen des 17. Jahrhunderts bis zum Ende ihrer Gemeinde unter dem Nationalsozialismus, hrsg. Herbert Reyer, Ostfriesische Landschaft, 1992
  • Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, Hamburg 1989
  • Ulrich Völkel (Hrsg.), Stolperstein-Geschichten Weimar, Weimar 2016
Recherche:

Hans-Jürgen Westermayer
Bernd-Volker Brahms