Project Description

Julius Samson
* 18. Juli 1907 in Sandhorst
† vermutlich im März 1943 in Auschwitz

Esenser Straße 107 (früher Sandhorst 8, Coldehörn), Sandhorst

In der Hoffnung auf ein gutes Ende

Julius Samson scheint ein optimistischer Mensch gewesen zu sein. Als 1939 die meisten Juden in Aurich zunehmend beunruhigt über die Situation sind, viele aufgrund dessen die Stadt verlassen und einige noch auswandern können, da denkt der 32-jährige Julius Samson noch ans Heiraten und Kinderkriegen.

Dabei hat auch er schon zuvor Einiges zu ertragen gehabt. Wie rund 50 andere jüdische Männer aus Aurich kommt er nach dem Pogrom am 9. November 1938 in das Kon­zen­tra­tions­lager Sachsenhausen, muss dort schwere Arbeit leisten und manche Drangsalierung ertragen. Am 5. Januar 1939 wird er entlassen. Bei der Entlassung werden die Männer zum Stillschweigen über die lagerinternen Vorgänge verpflichtet. Außerdem müssen sie unterschreiben, ihre Besitztümer dem Reich zu überlassen und das Land zu verlassen. Auch Julius Samson soll in den ersten Monaten des Jahres 1939 noch über eine Flucht in die Dominikanische Republik nachgedacht haben. Neben Shanghai war der Karibikstaat das einzige Land, das zu dem Zeitpunkt noch bedingungslos Juden aufnahm.

Es ist schwer zu sagen, wie ernsthaft sich Julius Samson auf seine Ausreise vorbereitete. Der zeitliche Korridor, in dem dies noch gelingen konnte, war sehr eng, wenngleich die Menschen dies gar nicht ahnen konnten. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 werden die Grenzen weitgehend geschlossen. Zumindest besorgt sich Julius Samson Anfang März 1939 im Auricher Landratsamt eine Personenkennkarte. Dieses Dokument war im Juli 1938 reichsweit für die Gesamtbevölkerung eingeführt worden, es sollte für Juden allerdings bald verpflichtend sein. Diese Form der Kennkarte war mitzuführen als eine Art Personalausweis. Das Passbild zeigt Julius Samson, noch gezeichnet von der KZ-Haft mit nahezu kahlgeschorenem Kopf. Bei der Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen sind allen Häftlingen noch einmal die Haare rasiert worden. Auf der Kennkarte von Julius Samson steht neben seiner Berufsbezeichnung als Landwirt in der Spalte unveränderliches Kennzeichen: „Blinddarmnarbe ca. 7 cm“. Mit absurder Gründlichkeit wird die Bevölkerung erfasst. Es ist ein Vorgeschmack auf die vielen tausend Listen, welche die Juden in ihre Vernichtung begleiten sollten.

Allen Grund, nicht nur Aurich, sondern auch Deutschland zu verlassen, hat Julius Samson sicherlich. Seinem Vater Abraham Samson, in dessen Betrieb Julius lange mitgearbeitet hatte, war längst die Geschäftsgrundlage entzogen worden. Abraham Samson bewirtschaftete das Gut Coldehörn mit seinen weitläufigen Ländereien. Er führte mit seinen drei Brüdern einen prosperierenden Viehhandel und einen Schlachtbetrieb, eine Firma, die bereits 1896 unter dem Namen „Benjamin Samson & Co“ gegründet worden war. Gewerbesteuerlisten und auch die heute noch existierenden Bauten in Aurich – wie zum Beispiel die Villa in der Zingelstraße 3 oder der ehemalige Schlachthof im Breiten Weg 24 (heute JUZ) – zeugen von der erfolgreichen Geschäftstätigkeit der Brüder. Durch Verordnungen, die ihn zum Verkauf von Ländereien zwingen, wird Abraham Samson de facto mit einem Berufsverbot belegt. Im August 1938 verkauft er völlig unter Wert erste Grundstücke des Gutes Coldehörn für 80 Pfennig pro Quadratmeter. Er ist zu diesem Zeitpunkt bereits 68 Jahre alt und damit im Rentenalter. Eigentlich wäre es an der Zeit gewesen, den Betrieb an Sohn Julius zu übergeben.

Julius Samson hatte noch zu guten Zeiten ab Ostern 1917 das Auricher Gymnasium Ulricianum besucht und sollte das väterliche Geschäft weiterführen. Ganz offensichtlich hat er jahrelang im väterlichen Betrieb gearbeitet, ohne bisher eine eigene Familie gegründet zu haben. Er gehört zu den unternehmungslustigen jungen Leuten, die sich ihren Lebensmut auch in der heraufziehenden Nazizeit nicht nehmen lassen. Diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, wenn man sich eine Fotografie ansieht, die zum Jahreswechsel 1937/38 entstanden sein muss. Julius Samson ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt. Die jungen Auricher Juden haben sich richtig schick gemacht und turteln für den Fotografen an diesem Silvesterabend herum. Entstanden ist dieses Foto im Hause der jüdischen Familie Goldschmidt. Die Mutter von Julius Samson, Hedwig Samson (1880–1942), ist eine geborene Goldschmidt. Neben der Cousine Herta Goldschmidt (1909–2001) ist auch die ein Jahr jüngere Schwester von Julius Samson, Emmy (1908–1942), zu sehen. Sie sollte die erste sein, die Aurich Ende der 1930er Jahre in Richtung Dortmund verlässt.
Wenig später folgen ihr die Eltern und die drei betagten und verwitweten Brüder des Vaters: Ruben Samson (1868–1942), Bendit Samson (1860–1942) und Herz Samson (1863–1942). Zuletzt kam auch ihr Bruder Julius nach Dortmund.

Julius Samson hat am 24. November 1939 noch in Aurich geheiratet. Der Tag der Hochzeit ist gleichzeitig der zwanzigste Geburtstag seiner Frau Dina (1919–1943), die aus dem hessischen Rennertehausen stammt und eine geborene Buxbaum ist. Es ist wohl die letzte jüdische Hochzeit, die in Aurich stattgefunden hat. Als Trauzeugen fungieren Julius Samsons 69-jähriger Vater Abraham sowie dessen 76-jähriger Bruder Herz. Auf dem Foto von Silvester 1937 hat Julius seine künftige Frau, die zwölf Jahre jünger ist als er, im Arm.

Dina Buxbaum ist im Juli 1937 mit 16 Jahren nach Aurich gekommen, möglicherweise hat sie bei Julius’ Onkel Sally Goldschmidt in der Osterstraße 13 als Haushaltshilfe gearbeitet. Jedenfalls lebt sie als Nichtverwandte mit im Haus. Sie hatte 1931 mit elf Jahren ihre Mutter verloren und wurde ein Jahr später Vollwaise, nachdem auch ihr Vater mit 58 Jahren verstorben war. Diana lebte zunächst bei Verwandten in Kerstenhausen, ehe sie nach Ostfriesland kam.

Im April 1940, als alle Auricher Juden die Aufforderung erhalten, die Stadt zu verlassen, ziehen auch Julius und seine schwangere Frau nach Dortmund. Sie wohnen dort in sogenannten Judenhäusern und müssen zweimal umziehen. Ihre letzte Adresse ist am Königswall 44. Am 16. Juli 1940 wird Tochter Reha und am 4. Juli 1942 Sohn Dan geboren. Die Vornamen müssen die Eltern aus einer Liste wählen. Seit August 1938 gilt eine Namensverordnung des Innenministeriums, wonach bei jüdischen Neugeborenen nur noch bestimmte Namen ausgesucht werden dürfen. Allen Namen ist gemeinsam, dass sie besonders fremd und semitisch klingen. Ab demselben Zeitpunkt müssen alle männlichen Juden den Zwischennamen „Israel“ und die weiblichen den Namen „Sara“ hinzufügen.

Eine ganze Familie wird Opfer des Holocaust

Julius Samson leistet Zwangsarbeit bei einer Dortmunder Tiefbaufirma. Das bewahrt ihn und seine Familie vor den Anfang 1942 angelaufenen großen Deportationen. Nur wer kriegswichtige Arbeit leistet, wird vorerst verschont. Jedoch wird er am 27. Februar 1943 – einem Samstag – bei der Arbeit verhaftet und in ein Sammellager, die Gaststätte Deutsches Haus am Brackeler Weg, gebracht und eingesperrt. Die Verhaftungen an diesem Tag finden reichsweit statt und bekommen später den Namen „Fabrikaktion“. Die Familien, so auch die von Julius Samson, erhalten die Aufforderung, sich am nächsten Tag ebenfalls an der Sammelstelle einzufinden. Dann, am 2. März um acht Uhr, müssen sich alle auf den Weg zum Südbahnhof machen. Der Transport nach Auschwitz, der über Berlin geht, umfasst 1.500 Menschen. Lediglich 50 Männer und 164 Frauen werden bei der Ankunft am 3. März als Häftlinge ins Lager aufgenommen, der Rest wird umgebracht. Julius’ 23-jährige Frau Dina mit den beiden kleinen Kindern Reha (2 Jahre) und Dan (8 Monate) gehören zu den gleich Ermordeten. Julius Samson wird ins Arbeitslager Monowitz transportiert und erneut kahlgeschoren. Er bekommt die Häftlingsnummer 105496 auf den linken Unterarm tätowiert.

Ein letztes Lebenszeichen von ihm stammt aus dem Röntgenbefundbuch des Häftlingskrankenbaus in Auschwitz, welches vom 18. März 1943 bis 13. April 1943 (Buch 10) geführt worden war. Zweimal ist er dort unter laufender Nummer 2920 und 3082 aufgeführt. Es ist dort die Diagnose „Bronchitis“ vermerkt. Es ist anzunehmen, dass auch Julius Samson bereits im März 1943 in Ausch­witz ums Leben kommt, kurz nachdem seine Frau und seine beiden Kinder ermordet wurden.

Seine Eltern Abraham und Hedwig Samson kommen anderthalb Jahre später auch nach Auschwitz und werden dort am 30. Oktober 1944 im Alter von 74 und 64 Jahren ermordet. Sie waren zwar schon früher von Dortmund aus deportiert worden, nämlich am 29. Juli 1942, gelangten allerdings zunächst nach Theresienstadt. Später werden sie mit dem letzten Großtransport von Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Insgesamt sind 2.038 Menschen im Zug.

Julius’ Schwester Emmy ist hingegen das erste Familienmitglied, das deportiert wird. Zusammen mit ihrem Mann Siegfried Stern wird sie am 27. Januar 1942 von Dortmund nach Riga deportiert. Als das Lager am 2. November 1943 aufgelöst wird, kommen sie nach Auschwitz. Ein genaues Todesdatum fehlt. Die drei älteren Brüder des Vaters werden ebenfalls am 29. Juli 1942 zunächst nach Theresienstadt deportiert. Für alle drei geht es am 23. September 1942 nach Treblinka, wo sie vermutlich kurz nach ihrer Ankunft ermordet werden.

Fast der gesamte Familienstrang der Samsons überlebt den Holocaust nicht. Nach dem Krieg gibt es lediglich drei Enkelkinder von Ruben Samson: Sonja Samson (1931–1986), Marga Samson Vangeebergen (geb. 1926) und Hans Heinz „Henri“ Samson (1929–2006), die sich teils erfolgreich um eine Entschädigung für den enteigneten Besitz der Familie, insbesondere für das Gut Coldehörn in Sandhorst, bemühen.
Sie bekommen 1956 eine Wiedergutmachungssumme in Höhe von 25.023,60 DM zugesprochen.

Stolpersteine für die Mitglieder der Familie Samson liegen in Aurich vor den Häusern Esenser Str. 107, Am Neuen Hafen 2, Zingelstraße 3 und Breiter Weg 21.

Quellen:
  • Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Aurich, Rep. 16/1 Nr. 5748, Kennkarte Julius Samson, 1939
  • Staatsarchiv Aurich, Rep. 107 acc 2009/075 Nr. 1786
  • Standesamt Aurich, Heiratsregister
  • Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, Hamburg 1989
  • Dr. Rolf Fischer, Verfolgung und Vernichtung, Stadt Dortmund, Essen 2015
  • Verzeichnis der 1933 in Aurich wohnhaft gewesenen Juden, Nachkriegsaufstellung, 1.2.5.1 / 12849254, ITS Archives, Bad Arolsen
  • Häftlingsregister des KZ Sachsenhausen, 1.1.38.1 / 4092161, ITS Archives, Bad Arolsen
  • Röntgen Befund-Buch des Häftlingskrankenbaus Auschwitz 18.3.1943–13.4.1943, 1.1.2.1 / 508030, ITS Archives, Bad Arolsen
  • Online-Gedenkbuch des Bundesarchives www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/
  • Die Juden in Aurich, Beiträge zu ihrer Geschichte von den Anfängen des 17. Jahrhunderts bis zum Ende ihrer Gemeinde unter dem Nationalsozialismus, hrsg. Herbert Reyer, Ostfriesische Landschaft, 1992
Recherche:

Jörg Peter